DIE OBJEKTE UND INSTALLATIONEN VON JÜRGEN SCHMITT

 

"Viele Objekte zitieren mit verfremdender ernster Ironie Formen religiöser Aussagen, um auf aktuelle Verletzungen der Menschlichkeit aufmerksam zu machen.
Die Anspielungen auf Tafelbilder, Altarkreuze und Reliquiare stoßen den Betrachter auf unerfüllte Plakatierungen, der Humanität, auf Pseudoreligiösität, Flucht in alibihafte Symbolbeschwörung.Christus oder Maria sind Repräsentanten jener Menschen, die Gewalt erleiden."

 

Texte:Ulrich Bergmann,Historiker und Schriftsteller (Bonn)

"RELIQUIAR":

Auf einem verzierten, silberfarbigen Sockel erhebt sich wieein Altarbild ein altes wurmstichiges, dickes Brett mit einer Vertiefung (stammt von einer alten Waage).In die Vertiefung eingelassen ist das Bild einer Mutter Gottes mit dem Christuskind.Die Krone der Mutter (als Krönung der intendierten Menschlichkeit) wird mit Gewalt zerbrochen; Selbstenthauptung statt Selbstbehauptung. Davor kniet ein Baby, eingelassen in eine galertartige Masse (Gießharz) mit Blutresten.Das Kind kniet abgewendet vom Betrachter mit dem Gesicht zur Gottesmutter. Die Beine befinden sich außerhalb der Masse.Über dieser Szene schwebt eine geöffnete alte Schere. Formal umschließt sie das tieferliegende.An der linken Seite des Objekts hängt an einer alten Kette ein hohler Knochen, der auf den Tod anspielt.
Die Schere schwebt als Symbol der Gefahr, des Todes über der Abtreibungsszene.Die einzige Verbindung, die das Kind noch zu unserer Welt hat, sind die beiden Beine, die sich durch den Gießharz (Geburtsreste)drücken. Der Rest des Körpers steckt in der Vertiefung, also schon in einer anderen Welt.Der aufgehängte Knochen symbolisiert Tod, Phallus und Vagina (Loch im Knochen).
Kein angenehmes Objekt:Das Reliquiar.Überreste, Zurückgelassenes.
Privatbesitz: Köln

"DIE PREDIGT"(Objekt):

"Christus als Repräsentant aller Menschen steckt in einem kanzelförmigen Fleischwolf. Stumm, mit ausgebreiteten Armen klagt er gegen die Folter und das Leid in aller Welt, in dem Moment, wo er selbst schon gefoltert wird. Wie ein ideologischer Filter erscheint das Teesieb, das den Heiligenschein zitiert.
Schmitt provoziert den Betrachter, nimmt Christentum und Humanität ganz eng beim Wort, verhöhnt praxisleeres Kanzelgerede.

"SPIEGELBILD MIT GITTER":

Auf einer Holzunterlage ist ein altes, mitbrauner Ölfarbe beschmiertes Tuch gespannt.In gleichen Farbtönen ist auch die Einrahmung bemalt.Auf dieses Brett wurde ein alter Spiegel geschraubt, auf dessen unterer Hälfte ein Gitter geklebt wurde, Die obere Hälfte bedeckt einquer aufgenagelter Christus.
Schaut man in den oberen Teil des Spiegels, spiegelt sich das Gesicht des Betrachters mit Christus.. Im unteren teil sieht man sich wie gefangen hinter Gittern. Christus kreuzt aggressiv den Spiegel und versperrt dem Betrachter den Blick.

"HENKEL-KREUZ":

Christus in Form eines alten Schraubenziehers gleicht sich formal dem alten Kleiderbügel in Form eines Kreuzes an.Das alte Teesieb schmiegt sich der Form des Christuskopfes an.Eine Kralle umfaßt den unteren Teil des Kreuzes.
Das Teesieb steht für den heiligenschein, der verkratzt und zerlöchert ist.Kralle ist Symbol der Gewalt in der Welt, wo Menschen immer wieder schlimmes Leid ertragen müssen.

"BEGEGNUNG"
Wandobjekt, Holzzwinge,

Eisendraht,Farbe, Pinsel,
Farbdose, Handschuhe

"FRAU MIT HERZ"1989/90:

Wandobjekt,Privatbesitz

"Hierbei handelt es sich um eine Assemblage aus vorgefundenen Materialien, die Schmitt auch als "Half-Ready Mades" bezeichnet._Dieses Objekt gehört zu einem Werkkomplex, der sich mit dem Wesen und der Rolle der Frau im Wandel der Zeiten auseinandersetzt.Der formal sehr strenge Akt thematisiert die Einheit der Dreiheit, die Harmonie von Körper,Geist und Seele. Zu sehen sind ein altes, eisenbeschlagenes Holzbrett, auf dem ein verzierter Holzteller, ein abgenutztes Küchenbrett mit Schnittspuren, ein Metallherz und eine Stange aus einem Pferdegeschirr . Die befestigten Gegenstände werden durch die Beschläge in drei Bereiche unterteilt. Sie stehen für den weiblichen Körper, die den Kopf (Verstand, Aussehen), das Herz (Gefühl) und das Geschlecht (Sexus) zeigen. Unübersehbar dominieren das Küchenbrett, das Häuslichkeit und Mütterlichkeit assoziiert und das Symbol für Sexualität.Dieses Objekt stellt das tradierte Frauenbild zur Schau und damit auch in Frage"
Text:Ulrich Bergmann

 

"DER ROTE HÖRER"
Objektkasten

In seinem Inneren wird eine Fotografie eines Telefonmüllberges zur Kulisse einer dramatischen Inszenierung..
Die leicht angewinkelten und geöffnet erscheinenden Türrahmen links und rechts im Kasten geben den Blick durch das Glas eines Schneewittchensarges frei auf die Mitte, auf den einzigen roten Hörer der Müllberg-Hintergrundfotografie. Darüber hängt, unmittelbar hinter der Glasscheibe, ein leeres, beschädigtes schwarzes altes Telefongehäuse, surreal schwebend. Unter dem Hörer, platt am Müllbergfoto die elektronischen Eingeweide des schwarzen Gehäuses, und am Kastenboden der dazugehörige schwarze Hörer,diagonal-parallel zum roten Hörer. Von der Muschel des roten Hörers aus fließt eine rote, blutähnliche Masse nach unten über das Telefoninnere und über den schwarzen Hörer.
Ich nenne das eine dramatische Inszenierung nicht nur, weil der verletzte Apparat die Wegwerfmentalität anklagt, also das Funktionieren eines kapitalistischen Systems, , das Seelenlosigkeit einkalkulieren muss,- sondern vor allem, weil der "blutende" Apparat im Müllgrab unsere verletzte und scheiternde Kommunikation repräsentiert.-
Die formale Gestaltung- die horizontale Dreiheit bildet mit der vertikalen dinglichen Dreiheit den roten Hörer in der Bildmitte als gemeinsamen Schnittpunkt- hebt mit der Warnfarbe Rot den sozialkritischen Appell hervor.

 

"LESEZEICHEN" Objekt, 1991

Brotmaschine, Buch, Blut, Nägel

 

"DYPTICHON" Wandobjekt

Holzkeil, Christusfigur, Marienplakette,Farbe,

"Reliquienschrein" Objekt

Eisenschrank mit 2 verschließbaren Türen, Glasplatte,
Fotografie mit Übermalung, Knochen, roter Gießharz, Gummihandschuhe

Rainer Maria Rilke

DER RELIQUIENSCHREIN

DRAUSSIEN wartete auf alle Ringe
und auf jedes Kettenglied
Schicksal, das nicht ohne sie geschieht.
Drinnen waren sie nur Dinge, Dinge
die er schmiedete; denn vor dem Schmied
war sogar die Krone, die er bog,
nur ein Ding, ein zitterndes und eines
das er finster wie im Zorn erzog
zu dem Tragen eines reinen Steines.
Seine Augen wurden immer kälter
von dem kalten täglichen Getränk;
aber als der herrliche Behälter
(goldgetrieben, köstlich, vielkarätig)
fertig vor ihm stand, das Weihgeschenk,
daß darin ein kleines Handgelenk
fürder wohne, weiß und wundertätig:
blieb er ohne Ende auf den Knien, hingeworfen, weinend, nichtmehr wagend,
seine Seele niederschlagend
vor dem ruhigen Rubin,
der ihn zu gewahren schien
und ihn, plötzlich um sein Dasein fragend,
ansah wie aus Dynastien.

"FEIERABEND - KATZE IM FERNSEHER"(Installation):
Auf einem vergoldeten Fernsehapparat, in dem eine tote mumifizierte Katze hängt, steht ein immergrüner Plastikblumenstrauss in einer goldfarbenen Messingvase- diese Medienkiste ist das goldene Kalb der kleinbürgerlichen Familie, die bei Bier und Salzstangen aufhört, Familie zu sein:"Feierabend"- so nennt Schmitt das Objekt;jetzt kommen die Bilder der Tagesschau, die schnell am Feierabendgemüt vorbeilaufenden Schreckensbilder von Folter, Tod, Entführung und Krieg.Schmitt hält nun aber mit der toten Katze im giftgrün beleuchteten Innenraum des kommunikationstödlichen Fernsehkastens das Bild des Todes fest, der Zuschauer wird diesem Bild ausgesetzt, und er wird als Betrachter dieses TV- Todeskabinetts konfrontiert mit Liedfetzen der "Grand Prix de la Chanson" Sängerin Nicole: die Harmonie der Worte "ein bischen Friede...Freude...Sonne" stockt, stolpert,stottert, als habe die Platte einen Sprung, kommt nicht weiter- und immer wieder spult das Endlostonband die gleiche zersprungene Show-Idylle ab. Das grüne Gift-Licht ist falsche Hoffnung, nichts ändert sich, der von Menschen verschuldete Schrecken und Tod lebt weiter. Die Installation "Feierabend" zeigt den kläglichen Sieg der Unfähigkeit der Menschen, Frieden zu schaffen. Schmitt zerreißt die falsche Idylle eines toten Feierabends.

 

Jürgen Schmitt - Kunst im Glas (Objekt)

 

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